Aufgrund zunehmender Bedenken wegen der disruptiven KI-Auswirkungen hat der Softwaresektor in den letzten Monaten mit Gegenwind zu kämpfen gehabt. Die Bewertungen sind branchenweit gesunken, was die Unsicherheit der Anleger darüber widerspiegelt, wie KI etablierte Softwareunternehmen verändern könnte.
Wir glauben jedoch, dass die aktuelle Marktreaktion nur bedingt aussagekräftig ist. KI stellt Softwareunternehmen zwar vor echte Herausforderungen, bietet aber auch bedeutende defensive Vorteile, die berücksichtigt werden sollten.
Der Software-Sektor steht vor Herausforderungen…
Die über die letzten zwei Jahre aufkommenden Disruptionsbedenken haben sich verstärkt und weiterentwickelt, da Investoren grundlegende Fragen zu Software-Geschäftsmodellen abwägen.
Das erste Problem betrifft die benutzerbasierte Preisgestaltung. Viele Softwareunternehmen berechnen ihre Preise anhand der Nutzeranzahl. Wenn KI die Effizienz der Mitarbeiter steigert, benötigen Unternehmen möglicherweise weniger Softwarelizenzen. Dies gefährdet die Einnahmequelle etablierter Anbieter, insbesondere von Anwendungssoftwareunternehmen.
In jüngster Zeit ist „Agentic AI“ in den Fokus gerückt. Diese Systeme bewältigen komplexe Arbeitsabläufe selbstständig und könnten derzeitige Plattformen zu einfachen Datenspeichern degradieren. So könnte ein Unternehmen beispielsweise weiterhin sein Kundenmanagementsystem nutzen, aber KI-Agenten, die zusätzlich zu dieser Plattform eingesetzt werden, könnten den tatsächlichen Mehrwert erschließen, indem sie Informationen aus mehreren Quellen zusammenführen.
Eine weitere Entwicklung sind neue, auf KI spezialisierte Wettbewerber. Große Anbieter von Sprachmodellen dringen in Geschäftsanwendungen vor und bauen dabei auf moderne Technologie-Stacks. Als kürzlich bekannt wurde, dass ein führendes KI-Unternehmen Personallösungen entwickelt, fielen die Aktien etablierter Anbieter innerhalb eines Tages um 2 % bis 3 %. Wir halten die Befürchtungen einer vollständigen Ablösung zwar für übertrieben, doch die Reaktion des Marktes zeigt, wie sensibel Investoren auf den KI-Wettbewerb reagieren.
Auch die Fähigkeiten der Maschinencodierung haben Aufmerksamkeit erregt. Der Microsoft-CEO erklärte, dass 20 bis 30 % des Codes seines Unternehmens derzeit von KI geschrieben werden. Laut Prognose des Chief Technology Officers des Unternehmens dürften es bis 2030 sogar 95 % sein. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob Unternehmen von einem „Buy-first“ zu einem „Build-first“-Ansatz übergehen könnten, da KI die Erstellung von Software zugänglicher macht.
Darüber hinaus haben etablierte Unternehmen bislang nur begrenzte direkte Einnahmen aus KI erzielt. Ein großes Unternehmen meldete wiederkehrende Einnahmen in Höhe von 100 Millionen US-Dollar aus KI, was nur einen Bruchteil seiner Gesamteinnahmen von 40 Milliarden US-Dollar ausmacht. Die mangelnde Monetarisierung von KI hat zu der Frage geführt, ob etablierte Unternehmen sich schnell genug anpassen können.
…aber mit integrierten Abwehrmechanismen
Trotz dieser Entwicklungen sind wir der Ansicht, dass etablierte Softwareunternehmen grundsätzlich weiterhin gut positioniert sind und über mehrere Wettbewerbsvorteile verfügen.
Erstens kontrollieren sie proprietäre Daten, Kundenbeziehungen und Vertriebskanäle. Sie sind tief in die Arbeitsabläufe ihrer Kunden eingebunden und haben über Jahre hinweg Informationen gesammelt, die effektive KI-Anwendungen erst möglich machen. Dies verschafft ihnen einen Vorsprung gegenüber neuen Marktteilnehmern, die versuchen, KI-Lösungen aus dem Nichts aufzubauen.
Zweitens ist der Umfang der produktionsreifen KI nach wie vor begrenzt. Abgesehen von Codegenerierung und automatisiertem Kundenservice werden zahlreiche KI-Projekte nicht in großem Maßstab eingesetzt. Führende Unternehmen im Bereich der KI-Entwicklung haben eingeräumt, dass agentenbasierte Lösungen noch nicht flächendeckend einsatzbereit sind. Dieser Verlauf ermöglicht es etablierten Unternehmen, KI-Funktionen zu integrieren, Preismodelle anzupassen und Mehrwert zu schaffen, ohne ihre Kerngeschäfte aufzugeben.
Darüber hinaus sind Kernsysteme – die Software, die Kundenbeziehungen, Unternehmensressourcen und Humankapital verwaltet – extrem schwer zu ersetzen. Unternehmen legen bei Systemausfällen größten Wert auf Sicherheit, Governance und Verantwortlichkeit. Diese praktischen Probleme verlangsamen die Einführung unerprobter KI-Alternativen in Unternehmen zugunsten etablierter Anbieter.
Ein selektiver Ansatz
Die Auswirkungen der KI dürften sich je nach Softwaresektor unterschiedlich gestalten. Deshalb konzentrieren wir uns auf Bereiche, in denen wir dauerhafte Vorteile und weniger unmittelbare Risiken sehen.
Mögliche Chancen
Dateninfrastrukturunternehmen scheinen gut positioniert zu sein. Unternehmen benötigen bereinigte, zentralisierte Daten, bevor KI zuverlässige Ergebnisse liefern kann, unabhängig davon, ob sie interne Lösungen entwickeln oder Dienste von Drittanbietern nutzen. Unternehmen, die die Organisation und Verwaltung von Informationen unterstützen, sowie Anbieter von Überwachungs- und Beobachtungsdiensten könnten davon profitieren. Ihre verbrauchsabhängigen Preismodelle passen zum Anstieg des Daten- und Rechenaufwands durch KI.
Vertikale Software für spezifische Wirtschaftszweige ist ein weiterer interessanter Bereich. Unternehmen, die sich auf spezielle Branchenanforderungen konzentrieren – wie die Bearbeitung von Versicherungsansprüchen oder die Planung von Haushaltsdienstleistungen –, verfügen über Fachwissen und Arbeitsabläufe, die generische KI-Lösungen nicht ohne Weiteres nachbilden können. Diese Unternehmen verfügen außerdem über einzigartige Datensätze und hohe Wechselkosten, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Design-Software für die Halbleiterentwicklung bietet eine besondere Chance. Diese Unternehmen erfüllen anspruchsvolle Anforderungen im Chipdesign und sind gut positioniert, um sowohl von den KI-Fortschritten als auch von den Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Halbleitersektor zu profitieren.
Bereiche, in denen Vorsicht geboten ist
Horizontale Anwendungssoftware, die branchenübergreifend vielfältige Funktionen erfüllt, könnte einer direkteren Konkurrenz durch KI ausgesetzt sein. So sind beispielsweise Kundensupport-Plattformen und Kreativsoftware in großen, standardisierten Märkten tätig, in denen neue KI-Startups effektiver konkurrieren können.
Generell unterliegen Punktlösungen, die sich auf bestimmte Funktionen wie E-Mail-Marketing oder Spesenabrechnung konzentrieren, aufgrund geringerer Markteintrittsbarrieren möglicherweise einem stärkeren Wettbewerbsdruck als integrierte Plattformen.
Abbildung: Median der EV/NTM-Umsatz-Multiples
Die Bewertungsunterschiede zwischen Anbietern horizontaler Anwendungssoftware verdeutlichen die unterschiedlichen Einschätzungen der Investoren hinsichtlich des Potenzials für disruptive Veränderungen durch KI in den verschiedenen Segmenten.
Was wir beobachten
Der Übergang zur KI und seine Auswirkungen auf die Softwarebranche erfordern eine sorgfältige Fundamentalanalyse. Zu den wichtigsten Kennzahlen, die wir beobachten, gehören das direkte KI-Umsatzwachstum etablierter Unternehmen, die Nutzungsraten für neue KI-gestützte Produkte und die Frage, ob KI-Umsätze bestehende Geschäftsbereiche ergänzen oder ersetzen.
Wir beobachten auch, wie Unternehmen KI intern einsetzen, um ihre Betriebsabläufe und Margen zu verbessern und die Produktentwicklung zu beschleunigen. Unternehmen, die KI für eine schnellere Entwicklung nutzen, können schneller in neue Märkte expandieren und so möglicherweise den Wettbewerbsdruck in ihren Kerngeschäften ausgleichen.
Ausblick
Der Software-Sektor befindet sich in einer Übergangsphase, deren Ausgang noch ungewiss ist. Zwar sind gewisse Umbrüche unvermeidlich, doch ist eine vollständige Verdrängung etablierter Unternehmen noch lange nicht in Sicht.
Wie bei jeder größeren Umwälzung wird es Gewinner und Verlierer geben. In den kommenden 18 Monaten dürfte sich zeigen, wie Softwareunternehmen von KI-Versprechen und -Entwicklungen zu tatsächlicher Produktlieferung und Umsatzgenerierung übergehen.
Wir halten die aktuellen Bewertungen in vielen Software-Segmenten im historischen Vergleich für angemessen. Allerdings sind Fundamentalanalysen und eine sorgfältige Auswahl wichtiger geworden. Unserer Ansicht nach sind diejenigen Unternehmen für diesen Wandel am besten aufgestellt, die ihre Marktposition verteidigen können, über spezialisiertes Fachwissen verfügen oder dessen Infrastruktur von der Einführung künstlicher Intelligenz profitiert, anstatt mit ihr zu konkurrieren.