Zur Finanzierung des Dreißigjährigen Krieges waren Richelieu und später Mazarin gezwungen, drastische Steuererhöhungen durchzusetzen. Nachdem sich die Ausgaben der Krone zwischen der Schlacht von Marignano und dem Ende des 16. Jahrhunderts verdoppelt hatten, verfünffachten sie sich anschließend zwischen 1600 und 1650. Darüber hinaus schürte eine Reihe von Reformen und neuen Gesetzen zur Stärkung der königlichen Macht die Konkurrenz unter den Angehörigen des Amtsadels und anderen Staatsbediensteten und führten zu Unverständnis und sozialem Abstieg.
Regulierungswut führt global zu Wettbewerbsverzerrungen
Natürlich wiederholt sich die Geschichte niemals, doch es lässt sich wohl sagen, dass die jüngsten Äußerungen französischer Unternehmer über die finanzielle Instabilität Frankreichs und die europäische Regulierungswut beispiellos sind. Guillaume Faury, der Vorstandsvorsitzende von Airbus und Präsident des französischen Verbandes der Luftfahrtindustrie GIFAS1, erklärte kürzlich, man dürfe der Luft- und Raumfahrtindustrie „keine Steine in den Weg legen und ihr nicht durch Besteuerung die Geschäftsgrundlage entziehen2“. In einer Mitteilung forderte der Verband, dass „die Regulierungsschraube gelockert“ wird.
Der Draghi-Bericht fordert die europäischen Entscheidungsträger auf, sich mit dem alarmierenden Niedergang Europas in den letzten 15 Jahren und der dringend notwendigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auseinanderzusetzen. Bei seiner Anhörung im Senat wies Florent Menegaux, CEO von Michelin, gekonnt und wortreich auf bestehende Wettbewerbsverzerrungen hin.
27 verschiedene Varianten derselben Regelung
Auf Frankreich entfallen 9 % des Umsatzes von Michelin, aber 16 % der Beschäftigten und der weltweiten Steueraufwendungen. Michelin ist es beispielsweise untersagt, Landwirtschaftsreifen nach Indien zu exportieren, da dies gegen die WTO-Regeln verstößt. Indische Unternehmen haben hingegen bereits 10 % des französischen Marktes erobert, da weder Frankreich noch die Europäische Union den Import dieser Reifen aus Indien verbieten. Michelin ist in allen europäischen Ländern vertreten. Eine europäische Richtlinie, die den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung lässt, führt letztlich dazu, dass es 27 verschiedene Varianten derselben Regelung mit jeweils nationalen Besonderheiten gibt. Menegaux fügt hinzu: „Und mit den resultierenden Bemühungen, einander zu übertrumpfen, ist das ein administrativer Alptraum“.
Hinzu kommen außerdem die Produktionskosten. Wenn Michelin 2019 in Asien auf einer Kostenbasis von 100 produzierte, sind diese Kosten, einschließlich Rohstoffe, Energie und Löhne, fünf Jahre später dank der Produktivitätsmaßnahmen ziemlich stabil. In Europa ist die Kostenbasis von höheren, aber tragbaren 134 im Jahr 2019 auf 191 gestiegen. Damit sind die Kosten nun fast doppelt so hoch wie in Asien, was insbesondere auf die Explosion der Energiekosten infolge des Krieges in der Ukraine und auf die Preisbildung in Europa zurückzuführen ist.
Wie alle europäischen Unternehmen stellt sich Michelin gerne dem Wettbewerb und gibt sein Bestes im Kampf um die Position an der Weltspitze. Aber wenn es fair zugehen soll, kann man beim Fußball nicht mit 11 Spielern antreten, während die gegnerische Mannschaft „22 Spieler hat und den Ball in die Hand nehmen darf“.
Jede Änderung der Belastung wäre vorteilhaft für europäische Aktien
Während für die deutsche Wirtschaft möglicherweise bereits das dritte Rezessionsjahr in Folge angebrochen ist, sind die Aussichten nach Einschätzung von BDI-Präsident Peter Leibinger nicht nur düster, sondern nach dem Regierungswechsel in den USA auch äußerst unsicher.
Die Märkte haben diese zusätzliche Belastung durch die europäische Regulierung und ihren Effekt auf die Rentabilität der Unternehmen bereits eingepreist. Jede Änderung wäre für die europäischen Aktien sehr vorteilhaft, die seit dem 1. Januar 2008 auf Dollarbasis um mehr als 90 % gestiegen sind, während die US-Märkte um 477 % zugelegt haben3. Jede Verringerung der regulatorischen Belastung und ernst gemeinte Maßnahmen, die einen „Vereinfachungsschock“ auslösen würden, hätten eine Verbesserung der Aussichten zur Folge.
Während viele darauf warten, dass dieser ersehnte Wandel eintritt, ist am Sonntag, den 2. Februar, die Europäische Verordnung über künstliche Intelligenz (KI) in Kraft getreten. Sie folgt dicht auf die seit dem 17. Januar geltende DORA4, deren Anforderungen auf Finanzdienstleistungen ausgerichtet sind. Über die Zukunft der CS3D5 und der CSRD6 wird derweil gerade entschieden.
1 Groupement des Industries Françaises Aéronautiques et Spatiales
2 https://www.youtube.com/watch?v=mWclEvmePog
3 Stoxx Europe 600 in US-Dollar / S&P 500
4 Digital Operational Resilience Act
5 Corporate Sustainability Due Diligence Directive, 2024
6 Corporate Sustainability Reporting Directive