
Bayer,  früher eines von Deutschlands Vorzeigeunternehmen in puncto  Erfolg und  Seriosität, hat sich mit der Übernahme des  US-Pflanzenschutzmittel- und  Saatgutherstellers Monsanto im Jahr 2018  für rund 63 Milliarden  US-Dollar ein teures Problem eingekauft. 
Sein Name: Roundup,  eine Serie von sogenannten Breitbandherbiziden mit  dem umstrittenen  Wirkstoff Glyphosat. Das Pestizid, das jede Pflanze  abtötet, die nicht  entsprechend gentechnisch verändert ist, wurde 2015  von der  Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich  krebserregend“  beim Menschen eingestuft und hat sich seitdem zu einem  „existenziellen  Thema“ für das Unternehmen Bayer entwickelt, wie  Konzern-Chef Bill  Anderson kürzlich in Chicago einräumte. Nun soll  Bayer Gerüchten in  Anwaltskreisen zufolge versuchen können, sich mit  einem umstrittenen  Insolvenz-Trick der lästigen und den  Unternehmenswert belastenden Klagen  zu entledigen.
Die in den USA anhängigen Glyphosat-Klagen  kosteten den Chemiekonzern  mehr als die rund 2,4 Milliarden Euro pro  Jahr, die er für Forschung  und Entwicklung ausgebe, zitiert das  Handelsblatt den Bayer-CEO.  Infolge der Glyphosat-Klagen könne das  Unternehmen nicht mehr so viel  in die Entwicklung investieren wie nötig,  kritisiert Anderson. Damit  sei auch der Fortschritt gefährdet, der  nötig sei, um eine wachsende  Weltbevölkerung bis Mitte des Jahrhunderts  zu ernähren, wenn weniger  Land und Wasser für die Landwirtschaft zur  Verfügung stünden.
Mehr als 100.000 Klagen
Inzwischen hat  die Klagewelle in den USA wegen Roundup bzw. Glyphosat,  immerhin sind  dort hierzu dem Vernehmen nach bislang mehr als 100.000  Klagen  zusammengekommen, sich auch massiv auf den Kurs der Bayer-Aktie   ausgewirkt: Notierte das Papier vor der Monsanto-Übernahme noch bei  mehr  als 90 Euro, ließ zuletzt selbst das für den Konzern positive  Urteil  eines Bundesberufungsgerichts in Philadelphia im US-Bundestaat   Pennsylvania die Bayer-Aktie lediglich auf rund 29 Euro steigen. Dabei   bedeutete dies sogar ein Plus von mehr als 10 Prozent.
Im Jahr  2020 konnte Bayer Berichten zufolge immerhin einen Vergleich in  Höhe von  bis zu 9,6 Milliarden Dollar für die meisten der bis dato  anhängigen  Roundup-Fälle erzielen. Eine Einigung im Hinblick auf  zukünftige Fälle  gab es hingegen nicht. Und dem Vernehmen nach sollen  immer noch mehr als  50.000 Klagen, die Rede ist derzeit von rund  57.000, wegen des  krebsverdächtigen Unkrautvernichters Roundup anhängig  sein. Im Juni  konnte der Konzern zwar einen Erfolg für sich  reklamieren, weil eine  US-Richterin in einem Glyphosat-Prozess gegen  Bayer den  Schadenersatzanspruch von 2,25 Milliarden auf 400 Millionen  Dollar  reduzierte. Doch Bayer kann sich nicht darauf verlassen, dass  solche  Verfahren künftig tendenziell zugunsten des Konzerns ausgehen,  warnen  Insider. Denn bislang urteilten die US-Berufungsgerichte  vielfach  unterschiedlich. So stellte Bayer für die Beilegung von  Roundup-Klagen  mehr als 16 Milliarden Dollar zurück. Davon sollen  bereits rund 10  Milliarden ausgegeben sein, wie das Handelsblatt  berichtet.
Texas Two-Step
Nun  soll der Konzern ein umstrittenes Verfahren namens „Texas Two-Step“   (TTS – texanischer Wechselschritt) prüfen, um sich der lästigen Klagen   zu entledigen, wird nicht nur in US-Anwaltskreisen spekuliert. Denn   Konzernchef Anderson will dieses „drängendste“ Problem schnellstmöglich   loswerden. Als Mittel zum Zweck eines Befreiungsschlages soll demnach   ein juristischer Trick dienen, ebenjener texanische Wechselschritt, um   einen Vergleich für die noch anhängigen rund 57.000 Fälle   herbeizuführen.
Konkret basiert diese Strategie auf einer  Eigenheit des texanischen  Firmenrechts, die es Unternehmen erlaubt,  Aktiva und Passiva in  getrennte Sparten aufzuteilen, wie das Fachmagazin  Institutional Money  erläutert. Danach wird die Sparte mit den  Verbindlichkeiten als  überschuldet in die Insolvenz geschickt. Im  Erfolgsfall ließen sich so  Vergleichsverhandlungen mit Klägern  erzwingen, die sich einer Beilegung  zuvor verweigert hätten,  verdeutlichen die Finanzexperten. Allerdings  gilt dieser Winkelzug nicht  als ausgesprochen zuverlässig, wie schon  andere US-Konzerne, wie etwa  der Pharmakonzern Johnson & Johnson,  feststellen musste.
Doch  Bayer scheine entschlossen, nichts unversucht zu lassen,  kommentieren  Beobachter. Schließlich lässt der Konzern ja nicht ab  davon, das  Roundup-Produkt mit Bezug auf entsprechende  wissenschaftliche Studien  als sicher zu proklamieren. Bei einer  TTS-Strategie könnte Monsanto  demnach jedoch zur „Bad Bank“ werden,  einer Art Müllkippe sozusagen. Ob  Texas Two-Step allerdings den  Durchbruch bringt, bezweifeln Fachleute.  Für Bayer sei vor allem  problematisch, dass Versuche, die zahllosen,  über verschiedene  Bundesstaaten verteilten Einzelfälle zu einem  Verfahren  zusammenzufassen, gescheitert seien, urteilt Institutional  Money.
Zudem rühren US-Anwaltskanzleien wieder heftig die  Werbetrommel, um  weitere potenzielle Glyphosat-Opfer zu einer Klage  gegen Bayer zu  bewegen. Laut Recherchen des Mediendienstes „The Pioneer“  sollen  Anwälte zuletzt neun Millionen US-Dollar für TV-Spots ausgegeben  haben.  Deren Inhalt: die Aussicht auf Entschädigungszahlungen. Dabei  hätten  die Kanzleien nur ein geringes Interesse daran, die Fälle vor  Gericht  zu bringen, zitierte The Pioneer Branchenkenner. Vielmehr seien  die  Anwälte auf hohe Vergleichssummen aus, „das sei das  Geschäftsmodell”.
Die einzelnen Glyphosat-Geschädigten dürfte  dies wenig stören.  Schließlich legen die Kanzleien die Kosten der  juristischen  Auseinandersetzungen für die jeweiligen Roundup-Opfer aus.  Die  Rechtsanwälte selbst arbeiten auf Erfolgsbasis, sie bekommen in der   Regel ein Viertel bis ein Drittel des Erlöses.
Quelle: GOSLAR INSTITUT

