Wenn Aktienmärkte schwanken, suchen Anleger Orientierung – und klammern sich nicht selten an die Bewertung als Anker. Dann flammt die Diskussion um faire KGV-Bewertungen erneut auf, doch sie greift oft zu kurz: Denn das Kurs-Gewinn-Verhältnis allein verrät wenig, wenn man den wahren Wert eines Unternehmens nicht kennt. Wolfgang Fickus, Produktspezialist bei der Fondsboutique Comgest, ordnet dies neu ein.
Ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mag auf den ersten Blick attraktiv erscheinen – doch gerade dieser eindimensionale Fokus auf einfache Bewertungskennzahlen kann in die Irre führen. „Das KGV sagt sehr wenig über die Qualität eines Geschäftsmodells, die Verlässlichkeit künftiger Erträge oder das langfristige Gewinnwachstum aus. Es ist eine Momentaufnahme – der heutige Preis einer Aktie. Ob der aktuelle Preis gerechtfertigt ist, zeigt sich erst daran, wie kontinuierlich das Unternehmen langfristig Wert generiert“, erklärt Wolfgang Fickus, Produktspezialist für Europa-Aktien bei Comgest. Für wachstumsorientierte Anleger ist daher die Differenz zwischen dem aktuellen Preis und dem langfristig fundierten Unternehmenswert entscheidend.
Bewertung ist nicht gleich Wert
Das KGV basiert auf den erwarteten Gewinnen der kommenden zwölf Monate – diese können kurzfristig, volatil und anfällig für Revisionen sein. Es blendet weitestgehend aus, dass der langfristige Wert eines Unternehmens im Wachstum und den abgezinsten Cashflows liegt. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten können diese Schwächen besonders zutage treten: Viele Unternehmen mit vermeintlich stabiler Bewertung haben operativ an Dynamik eingebüßt. „Wir sehen bei sogenannten Value-Fallen zum Beispiel, dass ein niedriges KGV nicht vor Kursverlusten schützt“, so Fickus. Wert entsteht ihm zufolge nicht dadurch, dass eine Aktie billig aussieht, sondern wenn das Geschäftsmodell nachhaltig trägt – heute, morgen und darüber hinaus.
Langfristige Perspektive statt kurzfristiger Kennzahlen
Comgest schätzt das Kurspotenzial daher nicht nur anhand kurzfristiger Bewertungskennzahlen ab, sondern relativ zu den langfristigen Gewinnschätzungen – mit bewusst konservativen Abzinsungsraten. „So stellen wir sicher, dass Unsicherheiten angemessen berücksichtigt werden“, erklärt Fickus. Bei wachstumsstarken Unternehmen entfällt der Großteil des heutigen Werts auf Erträge, die erst in fünf Jahren realisiert werden – wer hier nur aufs nächste Jahr schaut, sieht das Entscheidende nicht.
Qualität hat ihren Preis – und ihre Berechtigung
Während europäische Aktien im Durchschnitt (MSCI Europe) aktuell mit etwa dem 13-Fachen der erwarteten Gewinne des kommenden Jahres bewertet sind, liegt dieser Wert im Comgest Growth Europe Compounders-Portfolio bei rund 25. Für Fickus ist das kein Widerspruch: „Ein Bewertungsaufschlag ist weniger ein Risiko als Ausdruck von Qualität und Wachstum. Denn wir investieren in Unternehmen mit vorhersehbarem und langfristigem Gewinnwachstum, soliden Margen, hohen Kapitalrenditen und starken Marktstellungen.“
Schneider Electric & Belimo
Wie dieser Ansatz in der Praxis aussieht, zeigen Unternehmen wie Schneider Electric und Belimo. Der französische Technologiekonzern Schneider Electric profitiert von Megatrends wie Dekarbonisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung in der Industrie und Infrastruktur. 2023 erzielte das Unternehmen über 36 Milliarden Euro Umsatz – bei einer operativen Marge von rund 17 %. Mit Lösungen für Energieeffizienz und digitale Infrastruktur ist Schneider in Zukunftsmärkten hervorragend positioniert. Auch Belimo, weltweit führend in der Antriebs- und Ventiltechnik für HLK-Systeme (Heizung, Lüftung, Klimatisierung), ist ein typisches Beispiel für unternehmerische Substanz. Das Schweizer Unternehmen wächst seit Jahren mit hoher Konstanz – zuletzt weit über dem langfristigen Durchschnitt von 8% organischem Umsatzwachstum – und überzeugt mit einer Eigenkapitalquote von über 70 %. Die Produkte sind in der Infrastruktur von Datenzentren essenziell. Belimo steht exemplarisch für jene Unternehmen, die still und effizient Werte schaffen – auch wenn sie an der Börse oft nicht im Scheinwerferlicht stehen.
Wert entsteht über Zeit, nicht über Timing
Ein gewisser KGV-Bewertungsaufschlag gegenüber dem Markt ist für Comgest kein Risiko, sondern das Resultat eines konsequenten qualitäts- und wachstumsorientierten Ansatzes. Unternehmen wird die Zeit gegeben, ihr Potenzial zu entfalten – auch wenn das nicht immer kurzfristig belohnt wird. Der Fokus liegt auf Unternehmen, die über Jahre bzw. Jahrzehnte hinweg verlässlich Erträge steigern und das hat seinen Preis. „Unsere Erfahrung zeigt: In einem zunehmend stimmungsgetriebenen und volatilen Marktumfeld sind es die robusten, langfristig erfolgreichen Geschäftsmodelle, die sich letztendlich durchsetzen. Wer auf Qualität setzt, braucht keine hektischen Umschichtungen – sondern einen klaren Kompass“, fasst Fickus zusammen.