Dass Union und SPD sich schnell auf einen gemeinsamen Koalitionsvertrag geeinigt haben und Deutschland voraussichtlich zeitnah eine handlungsfähige Regierung haben wird, ist eine positive Nachricht.
Der erste Absatz des Vertragswerks signalisiert zudem Einigkeit darüber, dass die Politik angesichts historischer Herausforderungen einen entscheidenden Beitrag zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands leisten muss. Dabei steht auch die Ertüchtigung der Standortbedingungen für Unternehmen im Vordergrund. Investitionsanreize über kurzfristig verbesserte Abschreibungsbedingungen, perspektivisch sinkende Unternehmenssteuern, größere Anreize, ein Arbeitsverhältnis aufzunehmen oder im Alter länger zu arbeiten, günstigere Energie für die Industrie, die stärkere Unterstützung junger Unternehmen, der Ausbau der Infrastruktur und die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit sind richtige Maßnahmen.
Entscheidend wird allerdings sein, dass die Regierenden auch tatsächlich und zügig in die Umsetzung gehen, denn Ankündigungen, bspw. zum Abbau von Bürokratie und zur Beschleunigung von Verfahren, gab es auch von der Ampel-Koalition viele.
Neben diesen auf Deutschland bezogenen „Hausaufgaben“ muss die Regierung aber auch außen- und handelspolitisch neue Akzente setzen. Hier geht es darum, im europäischen Kontext zu denken, nicht wie bisher im Kontext von Überregulierung, sondern mit dem Bild des Aufbruchs. Die Ansätze Frankreichs und Großbritanniens für ein „Europa der Willigen“, zunächst zur stärkeren Unterstützung der Ukraine und um sich im Umfeld des von Donald Trump initiierten noch protektionistischeren globalen Handelsumfelds zu positionieren, braucht dringend die Unterstützung der größten Volkswirtschaft des Kontinents und sollte auch Polen und andere ähnlich gesinnte europäische Staaten berücksichtigen. Zudem müssen die transatlantischen Beziehungen auf eine neue, aber weiterhin partnerschaftliche und von europäischer Seite aus, selbstbewusste Ebene gestellt werden.
Dabei kann Friedrich Merz selbst als voraussichtlich künftiger Kanzler mit seinen Erfahrungen in den USA eine wichtige Rolle spielen. Im Fokus stehen muss aber auch die Ordnung des künftigen Verhältnisses zu China. Vor allem aber besteht im gerade extrem dynamischen und emotional aufgewühlten geopolitischen Umfeld die Chance für Europa, ein klar erkennbares eigenes Standort-Angebot für Menschen und Unternehmen zu formulieren, die sich auf ein zunehmend autokratisches Agieren nicht einlassen wollen. Wenn Europa sich auf Meinungsfreiheit, Datensicherheit, Demokratie, wissenschaftliche Offenheit, langfristige Planbarkeit und politische Verlässlichkeit fokussiert und dazu passend ein nachvollziehbares Zukunftsbild erstellt, kann der Kontinent der Gewinner der derzeitigen Turbulenzen sein.
Es geht dabei insbesondere auch um Emotionen, denn Autokraten leben von negativen Erzählungen und Drohkulissen. Eine positive europäische Zukunftsvision kann Dystopien überwinden. Sollte der positive Stimmungskick nicht gelingen und Wachstumskräfte nicht entfesselt werden, dürfte die neue Bundesregierung innerhalb weniger Monate unter enormen Handlungsdruck kommen.
In diesem Fall müsste sie bisher ausgesparte, aber grundsätzlich wünschenswerte Reformen, vor allem im sozialen Bereich, bspw. zur Mütterrente oder dem Renteneintrittsalter, doch noch angehen und könnte dadurch den politischen Rändern wieder mehr Zulauf bescheren.