Der September war durch den Versuch der Aktien- wie Rentenmärkte gekennzeichnet, neue Wahrscheinlichkeiten für Wachstums- und Inflationsszenarien zu ermitteln.
„Wegen der bitteren Erfahrungen in den 1970er und 1980er Jahren sind die Notenbanken offenbar entschlossen länger an einer restriktiven Zinspolitik festzuhalten. Dies hat eine Neubewertung der Anlageklassen zur Folge, was zu einer erhöhten Volatilität bei Aktien wie Anleihen führt“, so Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager der Vermögensmanagement Euroswitch.
In den Augen des Experten bleibt bis zu neuen Zinsentscheidungen und Äußerungen der Notenbanken im November die jetzt beginnende Berichtssaison der Unternehmen bestimmend für die kurzfristige Marktentwicklung. Böckelmann warnt: „Dabei werden die Indizes und deren Entwicklung überschätzt, da sie vergleichsweise schlecht die reale Wirtschaft repräsentieren. Zu wenige Unternehmen dominieren aktuell die Indizes, was von der Entwicklung der breiten Masse der Unternehmen ablenkt.“ Aber jedes Unternehmen allein stehe vor der Frage, wie es in diesem geopolitisch unsicheren Umfeld bei hartnäckiger Inflation und geringerem Wachstum erfolgreich agieren kann. Dies gelte es als Anleger zu bewerten. „Darüber hinaus hat die Geopolitik der letzten Jahre den Trend zu De-Globalisierung und Multi-Polarität begründet, der unterm Strich sowohl wachstumshemmend als auch inflationär wirkt – ein Thema, das auch die Kapitalmärkte in den kommenden Jahren immer wieder vor Herausforderungen stellen wird“, prognostiziert der Fondsmanager.
September – der Monat der Notenbanken
Von Washington über Frankfurt bis Peking wurden Zinsentscheidungen getroffen. Dabei beendeten vor allem die westlichen Notenbanken mit ihrer Entschlossenheit im Kampf gegen die Inflation, aber auch ihrer Lesart der weltwirtschaftlichen Lage, die teils vorherrschende Sorglosigkeit an den Finanzmärkten.
Die amerikanische Notenbank FED und die europäische EZB haben binnen kürzester Zeit die Zinsen um 5 % nach oben geschraubt, mittlerweile sind die Zinsen für die meisten westlichen Länder sowohl für kurze wie lange Laufzeiten auf einem 15-Jahres-Hoch wie zu Zeiten vor der Globalen Finanzkrise. Bemerkenswert findet Böckelmann dabei insbesondere den Zinsanstieg für lange Laufzeiten in den letzten Wochen, der die bislang vorherrschende Inversion abflachte, teilweise sogar zu einer Normalisierung führte (Re-Steepening). Der Experte macht dafür zwei Faktoren verantwortlich – zum einen die zunehmend als hartnäckig erkannte strukturell höhere Inflation mit in der Folge einem länger erforderlichen Kampf der Notenbanken bei höheren Zinsen, zum anderen die signifikant höhere Staatsverschuldung, die zu Bewertungsabschlägen führt.
„Auch wenn die Maßnahmen der westlichen Notenbanken vergleichbar anmuten, so befinden sich doch die betroffenen Wirtschaftsblöcke USA und Europa nicht nur an unterschiedlichen Punkten eines konjunkturellen Zyklus, vielmehr darf sogar von unterschiedlichen Regimen gesprochen werden“, fasst Böckelmann zusammen.
USA ungleich Europa
Dank großzügiger Pandemie-Hilfsprogramme der Trump-Ära und Konjunkturförderprogramme unter Biden haben die USA trotz historisch gestiegenen Zinsniveaus ein noch stabiles Wirtschaftswachstum. Die Inflation liegt um die 4 % und ist damit gewaltig von den Höchstständen vor wenigen Monaten zurückgekommen. „Die zu erwartende Bremswirkung der höheren Zinsen dürfte den Trend weiter begünstigen, wenn auch strukturelle Faktoren und vor allem gestiegene Arbeitskosten das Inflationsziel von 2 % kurzfristig unrealistisch erscheinen lässt – unter der Annahme einer weichen Landung der Volkswirtschaft“, sagt der Experte. Im Szenario einer Rezession könnte das Inflationsziel vermutlich schneller erreicht werden, dieses wird aber aktuell von den meisten Volkswirten als wenig wahrscheinlich angesehen. Und weiter: „Aber oft kommt es anders, insbesondere wenn politische Fehler passieren. So gab und gibt es wieder Streitigkeiten zwischen Demokraten und Republikanern um die erforderliche Ausweitung der Schuldengrenze und auch das Wahljahr 2024 dürfte Unsicherheiten bringen. Fakt ist, dass angesichts der ungehemmten Verschuldung der USA seit der Globalen Finanzkrise die Flexibilität im Falle einer erneuten Krise eingeschränkt ist, auch ist mit einem signifikanten Anstieg des Schuldendienstes am Staatshaushalt zu rechnen.“
Anders als die USA sei Europa nicht auf Wachstumskurs, sondern befände sich bereits in der Stagflation. Hier stelle sich gar nicht mehr die Frage, ob die Notenbank durch die Zinsanstiege eventuell überzogen habe. „Die Zinsanstiege waren und sind angesichts überbordender Inflation alternativlos im Kampf um die eigene Glaubwürdigkeit – da strukturelle und politische Faktoren die Inflation begünstigen, ist die Wirkung steigender Zinsen aber vergleichsweise gering. Während die Inflation hartnäckiger ist als in den USA erfährt das Wachstum eine weitere Bremswirkung durch politische Entscheidungen, die aus ökonomischer Sicht nicht nachvollziehbar sind“, schlussfolgert Böckelmann. Ein bizarr anmutender Kampf um das Weltklima und Menschenrechte habe zu einer Entfremdung zwischen Wirtschaft und Politik geführt, wie das Handelsblatt kürzlich titelte. Derartiges politisches Agieren sei weltweit einzigartig: „Während in den USA Politikvertreter mit den Führungskräften der wichtigsten Technologiekonzerne diskutierten, um künstliche Intelligenz mit Chancen und Risiken erst einmal zu verstehen, verabschiede die europäische Politik in ihrer Allwissenheit bereits ein Digitalgesetz“, so der Fondsmanager.