Um die Intelligenz von Menschen zu messen, gibt es verschiedene Tests, die einen Gesamt-Intelligenzquotienten ermitteln. Der durchschnittliche Wert liegt bei 100. Ab 130 wird von einem weit überdurchschnittlichen und unter 70 von einem weit unterdurchschnittlichen Wert gesprochen. Doch reicht es, den Gesamt-IQ zu betrachten?
Dazu haben Forschende der Universität Trier gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universitäten in Potsdam und Amsterdam eine aufwendige Studie gemacht, die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Psychological Bulletin erschienen ist. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es sinnvoll ist, bei manchen Personengruppen mehr als den einen Gesamt-Wert bei der Beurteilung der Intelligenz heranzuziehen.
Intelligenztests messen unterschiedliche kognitive Fähigkeiten, die in den Gesamt-IQ einfließen. Beispielsweise kann die Verarbeitungsgeschwindigkeit dadurch getestet werden, dass bei einer Liste mit Wörtern in sehr kurzer Zeit alle Wörter durchgestrichen werden müssen, die keine Tiere beschreiben. Eine Aufgabe, um das räumliche Denken zu bestimmen, ist die mentale Rotation von geometrischen Formen. Die Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses kann durch das umgekehrte Aufzählen von zuvor gehörten Zahlenreihen ermittelt werden.
Daten von 51 Studien und 264.300 Studienteilnehmenden
„Oft wird davon ausgegangen, dass der Gesamt-IQ ausreichend ist, um die Intelligenz von Menschen zuverlässig einzuschätzen. Doch es gibt Personen, die haben sehr hohe verbale Fähigkeit mit einem Wert von 130, dafür aber nur ein räumliches Vorstellungsvermögen von 90, was durch einen einzigen Gesamtwert nicht abgebildet werden kann“, erklärt Dr. Moritz Breit, der an der Universität Trier zu Intelligenz und Hochbegabung forscht. Gerade um diese Differenzierung ging es in der groß angelegten Studie der Forschenden. Insgesamt haben sie 33 Forschungsberichte mit Daten von 51 Studien und 264.300 Studienteilnehmenden ausgewertet. Die betrachteten Studien haben sich beispielsweise mit der Intelligenzmessung bei Kindern, Hochbegabten oder älteren Menschen beschäftigt.
„Ein zentraler Befund der Studie ist, dass mit steigender Intelligenz der Gesamt-IQ weniger aussagekräftig wird, wohingegen das Profil aus spezifischeren Fähigkeiten an Bedeutung gewinnt. Es wird also wichtiger, bei Personen mit hoher allgemeiner Intelligenz auch einzelne Fähigkeiten wie die Verarbeitungsgeschwindigkeit oder die Merkfähigkeit zu betrachten“, sagt Breit. Insbesondere allen, die beispielsweise IQ-Tests im Rahmen von Auswahlverfahren für eine hochqualifizierte Stelle oder die Aufnahme in ein Hochbegabten-Förderprogramm durchführen, empfehlen die Studienautoren daher, die Werte der einzelnen Fähigkeiten mit in ihre Einschätzung hineinzunehmen.
Intelligenz bei Kindern, Jugendlichen und Senioren
Überraschend war für die Forschenden, dass bei Kindern und Jugendlichen das Alter für die Differenzierung keine Rolle zu spielen scheint. „Eigentlich könnte man denken, dass sich die Fähigkeiten weiter ausdifferenzieren, je älter ein Kind oder ein Jugendlicher wird. Doch diese These stützen unsere Ergebnisse nicht“, sagt Breit.
Dahingegen sehen die Forschenden eine weitere naheliegende These bestätigt: Im höheren Seniorenalter sind die einzelnen Fähigkeiten zunehmend weniger ausdifferenziert. Der Gesamt-IQ vermittelt daher in dieser Altersgruppe ein kompletteres Bild als bei jüngeren Personen. Die Betrachtung von einzelnen Fähigkeiten ist nicht mehr so essenziell.
„Bei Kindern und Jugendlichen wird generell eher mehr getestet als bei älteren Menschen, da die Tests beispielsweise mit darüber entscheiden, ob jemandem eine Lernschwäche attestiert wird“, erklärt Breit. Eine Aussage darüber, welche der vielen verschiedenen Intelligenztests die zuverlässigsten Ergebnisse liefern, trifft die Studie nicht. Breit: „Die meisten Intelligenztests sind grundsätzlich reliabel. Welche genauen Testinformationen am aussagekräftigsten sind, hängt jedoch nach unseren Ergebnissen eben auch von den Eigenschaften der getesteten Person ab.“
Studie
Breit, M., Brunner, M., Molenaar, D., & Preckel, F. (2022). Differentiation hypotheses of intelligence: A systematic review of the empirical evidence and an agenda for future research. Psychological Bulletin, 148(7-8), 518–554.
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