Argentinien hat gewählt: Javier Milei wird neuer Präsident des südamerikanischen Landes. Vor welchen Herausforderungen er steht und wie er den kriselnden Staat wieder auf Kurs bringen kann, erläutert Graham Stock, Senior-Stratege für Schwellenländer-Staatsanleihen bei BlueBay, RBC BlueBay Asset Management.
Javier Milei hat sich in der gestrigen Stichwahl gegen den amtierenden Wirtschaftsminister Sergio Massa durchgesetzt. Vor dem Wochenende deutete vieles auf ein knappes Rennen hin. Tatsächlich aber gewann er mit 55,7 Prozent gegenüber 44,3 Prozent der Stimmen. Massa räumte seine Niederlage ein, noch bevor das offizielle Ergebnis bekannt wurde.
Mileis Siegesrede war gemäßigt und gab nur wenige Hinweise auf seine nächsten Schritte. Er bekräftigte sein Selbstverständnis als Liberaler und Libertärer, nannte aber keine konkreten Maßnahmen. Er dankte seinen langjährigen Unterstützern und den beiden führenden Oppositionspolitikern, die sich nach dem ersten Wahlgang formell seiner Kampagne angeschlossen hatten – dem ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri und der unterlegenen Kandidatin der Partei Juntos por el Cambio, Patricia Bullrich. Dies ist aus zwei Gründen von Bedeutung: Erstens hält es die Hoffnung aufrecht, dass in seiner Regierung erfahrene Technokraten aus der Opposition sitzen werden. Zweitens könnte es darauf hindeuten, dass er eine funktionierende Mehrheit im Kongress wird aufbauen können, um sein Gesetzgebungsprogramm voranzubringen.
Seine Gesetzgebung muss dem Haushalt Vorrang einräumen. In Ermangelung in- oder ausländischer Kapitalquellen hat die derzeitige Regierung zur Finanzierung der Haushaltsdefizite auf die Druckerpresse zurückgegriffen. Das hat wiederum die Inflation angeheizt: Sie erreichte im Oktober 143 Prozent im Jahresvergleich und dürfte weiter steigen, wenn die Preiskontrollen aufgehoben werden und der überbewertete offizielle Wechselkurs abgewertet wird.
Um 2024 einen Primärüberschuss zu erzielen, ist eine Kürzung der Energiesubventionen erforderlich. Außerdem müssen die Sozialausgaben zum passenden Zeitpunkt de-indexiert werden, damit die Einnahmen bei steigender Inflation weiterhin höher sind als die Ausgaben.
Milei wird eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl für die Umsetzung von Maßnahmen brauchen, die von den Argentiniern als kurzfristiger Schmerz für einen ungewissen langfristigen Nutzen empfunden werden. Immerhin das Wetter scheint ihm wohlgesonnen: El Niño bringt Argentinien in der Regel ordentliche Regenfälle. Das sollte die Auswirkungen der Dürre 2023 umkehren. Außerdem wird das Schiefergasvorkommen von Vaca Muerta erschlossen: In diesem Jahr wird zum ersten Mal Gas über eine Pipeline nach Buenos Aires geleitet. Es bestehen gute Aussichten für Exporte nach Brasilien ab etwa 2025. Die Verbesserungen in der Zahlungsbilanz können den Druck auf die Dollarliquidität verringern, wenn eine Haushaltsanpassung das Vertrauen in die mittelfristigen Aussichten der Wirtschaft stärken kann.
Wir sind uns der Herausforderungen für Milei und der vielfältigen wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die er erben wird, sehr bewusst. Dennoch ist klar, dass die Argentinier für einen Wandel gestimmt haben. Wir sind daher vorsichtig optimistisch, dass das Land nun vor besseren Zeiten stehen könnte.