
Die Automobilindustrie befindet sich weiterhin im Umbruch. In Deutschland ist sie gemessen am Gesamtumsatz der größte Industriezweig. Das politische Spitzenpersonal, einschließlich des Bundeskanzlers, betonte immer wieder die zentrale Rolle des Sektors für Deutschlands Wohlstand und sicherte ihm seine Unterstützung zu.
Durch die zunehmende Internationalisierung und den technologischen Wandel hat sich der Wettbewerb innerhalb der Branche weiter verschärft. Die globale Konkurrenz und der damit verbundene Innovationsdruck waren so sichtbar wie nie.
Elektromobilität verschärft den Margendruck
Mehrere deutsche Hersteller haben in den vergangenen Monaten neue vollelektrische Mittelklasse-SUVs mit deutlich verbesserten technischen Merkmalen bei Reichweite und Ladegeschwindigkeit vorgestellt. Problematisch für alle traditionellen Hersteller ist, dass auch die neuen Modellgenerationen elektrischer Fahrzeuge den Margenmix unter Druck setzen. Modelle mit Verbrennungsmotor bleiben vorerst deutlich profitabler. Damit stehen die etablierten Hersteller vor einer Zwickmühle: Einerseits sind hohe Investitionen erforderlich, um mit chinesischen Konkurrenten im Bereich der Elektromobilität Schritt zu halten, andererseits erzeugen die daraus resultierenden Modelle zusätzlichen Margendruck. Der Weg ist jedoch richtig, denn sie können sich nicht mehr auf ihre Technologieführerschaft bei Verbrennungsmotoren verlassen. In China, dem größten Autoabsatzmarkt der Welt, haben Elektrofahrzeuge bereits fast 50 % Marktanteil.
Investitionswelle ebbt ab
Die Automobilbranche befindet sich in einem intensiven Investitionszyklus, der seinen Höhepunkt zunehmend erreicht. Nach Jahren hoher Ausgaben für Forschung, Entwicklung und neue Plattformen beginnen die Investitionsvolumina nun allmählich zu sinken. Für viele Hersteller markiert diese Phase den Übergang von hohen Vorlaufkosten zu einem stärkeren Fokus auf Effizienz und Kapitaldisziplin. Zugleich zeigt sich, dass die Transformation zur Elektromobilität weiterhin komplex bleibt und Anpassungen von Strategien und Zeitplänen in der Branche keine Seltenheit sind.
Kundennähe wird zur Pflicht: „Local-for-Local” lautet die Devise
Der globale Automobilabsatz hat seine Höchstwerte vor der Corona-Pandemie noch nicht wieder erreicht. Auf regionaler Ebene zeigt sich ein differenziertes Bild. Während die Absatzvolumina in den wichtigen Automärkten Europa und Nordamerika abnehmen, zeigt sich Wachstum vor allem in Asien (ex Japan) und Südamerika. Diese Entwicklung hat Einfluss auf die regionale Verteilung der Autoproduktion. Dies ist auch Ausdruck der „Local-for-Local“-Strategien der Hersteller. Man will dort produzieren, wo die Kunden sind. Dies ist umso wichtiger angesichts des aktuellen Trends zu mehr protektionistischen Maßnahmen. Um langfristig an dem Volumenwachstum insbesondere in Asien zu partizipieren oder ihre heutigen Volumina wenigstens zu halten, müssen traditionelle Hersteller jedoch auch Produkte anbieten, die den Bedürfnissen der Kunden vor Ort entsprechen. So erfreuen sich zum Beispiel in China Karaoke-Funktionen großer Beliebtheit. Daher ist nicht nur eine Produktion vor Ort wichtig, sondern auch eine regionale Entwicklung und Anpassung der Produkte. So hat zum Beispiel ein deutscher Hersteller angekündigt, für den chinesischen Markt eine neue Plattform gemeinsam mit einem chinesischen Partner zu entwickeln und für den Rest der Welt eine Kooperation mit einem US-Unternehmen begonnen. Auch weitere deutsche Hersteller arbeiten in China mit speziellen Partnern für Infotainment-Funktionen und Fahrassistenzsysteme zusammen.
„Software Defined Vehicle“: Neue Architektur für die Branche
Ein Pionier des Elektroautos hat nicht nur die Elektromobilität massentauglich gemacht, sondern auch eine ganz neue Art der Fahrzeugarchitektur in der Branche eingeführt. Traditionell verfügen Autos über Hunderte von Steuergeräten für verschiedenste Fahrzeugfunktionen verbaut, die von Zulieferern bereitgestellt werden und sich nachträglich nur schwer aktualisieren lassen. Dieses Unternehmen vereinfachte die Fahrzeugarchitektur radikal durch vertikale Integration und den Ersatz vieler Steuergeräte durch zentrale Computer, die mit hauseigener Software betrieben werden. Das ermöglichte nicht nur Kostenersparnisse bei der Produktion, sondern auch sogenannte „Over-the-Air“-Updates (OTA), wie sie von Smartphones bekannt sind.
Mittlerweile bemühen sich alle Hersteller um eine Transformation zu „Software Defined Vehicles“ (SDV). Auch neue Fahrzeuggenerationen basieren auf vier funktional differenzierten Supercomputern. Wer jedoch Benchmarking-Dienstleister befragt, erfährt, dass die etablierten Hersteller noch einen deutlich weiteren Weg bis zum SDV vor sich haben als Unternehmen, die ohne Rücksicht auf bestehende Systeme und Zulieferer neue Fahrzeuge entwerfen konnten. Durch die Transformation zu SDV nehmen auch die Produktzyklen in ihrer Geschwindigkeit zu. In China präsentieren die lokalen Hersteller bereits jährlich neue Modelle oder neue Fahrzeugfunktionen, ähnlich wie die Smartphonehersteller. Traditionelle OEMs (Original Equipment Manufacturer) arbeiten bisher noch mit mehrjährigen Produktzyklen.
Das autonome Fahren stellt traditionelle Geschäftsmodelle infrage
Derzeit konzentrieren sich die meisten Autohersteller auf Assistenzsysteme der Stufe 2++, bei denen der Fahrer das Fahrzeug weiterhin laufend überwachen muss. Ein internationaler Anbieter hat sogar kürzlich verkündet, seine Investitionen für Level 3 (vorübergehendes Abwenden vom Verkehr) zu stoppen. Die Entwicklung von vollautonomen Fahrsystemen (Level 4) erfordert nochmals erhebliche Investitionen, die traditionelle Hersteller neben der Transformation zur Elektromobilität wohl nur schwer aufbringen können. Es scheint daher wahrscheinlicher, dass diese Technologie von großen Plattformen etabliert wird, die sie dann als Softwareabo an Fahrzeughersteller oder sogar Endkunden verkaufen. Fraglich ist, welchen Einfluss das vollautomatisierte Fahren (Level 4) auf die Geschäftsmodelle der Autohersteller haben wird, wenn es sich verbreitet hat. Dann sind alle Insassen nur noch Passagiere und können sich mit anderen Aktivitäten beschäftigen. Das Fahren selbst wird also kein Differenzierungskriterium mehr sein, sondern vielmehr die Gestaltung und Nutzbarkeit des Innenraums. Außerdem könnte das Interesse am Eigentum eines eigenen Fahrzeugs weiter abnehmen.
Chinas Autobauer setzen auf Marktpräsenz statt Preisschlacht
Für die westlichen OEMs ist es vorteilhaft, dass die chinesischen Hersteller bislang nicht mit aggressiven Preisstrategien in den europäischen Markt gedrungen sind. So wird ein chinesisches Mittelklassemodell in Deutschland beispielsweise ab rund 47.000 Euro angeboten. Ein Grund dafür sind die Zölle der EU auf Importe aus China. Jedoch haben auch die chinesischen OEMs kein Interesse daran, den in ihrem Heimatmarkt teilweise ruinösen Preiskampf nach Europa zu übertragen. Vielmehr setzen auch sie auf das „Local-for-Local“-Prinzip und planen Produktionskapazitäten in Europa, beispielsweise in Ungarn. In Europa gebaute Fahrzeuge haben naturgemäß höhere Produktionskosten, wodurch sich der Kostenabstand zu den heimischen Herstellern verringern dürfte. Damit haben die westlichen Hersteller die Chance, ihre Kunden in Europa zumindest teilweise über Markenbindung zu halten.
Es ist davon auszugehen, dass die chinesischen Hersteller schrittweise Marktanteile gewinnen werden, statt den Markt abrupt zu überrollen. So war es auch nach dem Markteintritt japanischer und koreanischer Anbieter in Europa. Dennoch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zukunft der Branche in Fernost entschieden wird und nicht im stagnierenden europäischen Automarkt.
Das laufende Jahr ist von Unsicherheiten geprägt
Erst ab 2026 werden viele der derzeit angekündigten Modellreihen verfügbar sein. Der erhoffte Erfolg dieser Modelle wird somit frühestens Ende 2026 spürbar werden. Bis dahin gibt es noch viele Unsicherheiten. Einerseits entwickelte sich der Absatz und das Preisniveau in China zuletzt sehr schwach, auch wenn inzwischen eine gewisse Preisstabilisierung eingesetzt hat. Diese ist auf die strengere Regulierung der Bankenprovisionen an Autohäuser für Finanzierungsvermittlungen zurückzuführen. Die Kehrseite dieser Stabilisierung ist jedoch ein noch schwächerer Absatz. Deshalb leisten derzeit viele westliche OEMs Unterstützungszahlungen an Händler in China und bereinigen ihr Händlernetzwerk dort.
Auch das Thema US-Zölle birgt viele Unsicherheiten. Zwar wurde eine rückwirkende Umsetzung des 15-Prozent-Deals angekündigt, sodass die Hersteller nicht mehr die zuletzt geltenden Strafzölle von insgesamt 27,5 Prozent zahlen müssen. Allerdings sind auch 15 % mehr als vor der Zollpolitik Donald Trumps. Zudem stellt sich die Frage, wie langfristig belastbar die Abkommen mit Donald Trump sein werden.
Fazit: Ein herausforderndes Marktumfeld für westliche OEMs
Das Marktumfeld für westliche OEMs bleibt herausfordernd. Insbesondere die Belastung durch US-Zölle, die Entwicklung in China und die jeweiligen Investitionszyklen in Elektromobilität unterscheiden die Hersteller voneinander.