
Unser „Chart of the Week“ zeigt die jährlichen Veränderungen zweier zentraler Gewinnkennzahlen für die USA. Die erste Kennzahl sind die operativen Gewinne der im S&P 500 enthaltenen Unternehmen. Die zweite Kennzahl sind die gesamtwirtschaftlichen Unternehmensgewinne, wie sie in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesen werden, nach Steuern ohne Bewertungs- und Abschreibungsanpassungen.
Über Jahrzehnte verliefen beide Reihen weitgehend im Gleichschritt und spiegelten die enge Kopplung von Börse und Realwirtschaft wider. Seit der Pandemie scheint dieser Gleichlauf jedoch aufgebrochen. Die Gewinne im S&P 500 zeigen deutlich stärkere Ausschläge und seit rund einem Jahr eine überproportionale Dynamik, während die gesamtwirtschaftlichen Profite hinterherzulaufen scheinen.
Die Gründe hierfür liegen unserer Einschätzung nach auf der Hand. Wenige große Technologieunternehmen treiben die Gewinne im S&P 500 nach oben, gestützt durch Skaleneffekte und den massiven Investitionszyklus im Bereich Künstliche Intelligenz. Die gesamtwirtschaftlichen Gewinndaten spiegeln dagegen eine breitere Unternehmensbasis wider, in der viele kleinere, zinssensitive Firmen stärker unter höheren Finanzierungskosten und gestiegenen Lohnstückkosten leiden. Hinzu kommen Aktienrückkäufe, die die Kennzahlen im Index stützen, ohne dass die gesamtwirtschaftlichen Gewinne im gleichen Maß steigen. Zusammengefasst spiegeln die S&P‑Gewinne die Stärke weniger, extrem wettbewerbsfähiger Großunternehmen wider, während die breiten Unternehmensgewinne das „Durchschnitts-USA“ zeigen, mit einem robusten, aber nicht exorbitanten Wachstum.
In dieser Entwicklung zeigt sich nach Einschätzung von Johannes Müller, Head of Research der DWS, eine „Renaissance des K“. K steht hierbei für ein partielles Auseinanderlaufen von Konjunktur und Aktienmärkten in den USA. Das K wurde in Corona-Zeiten unter Ökonomen populär, um zu veranschaulichen, dass ein Teil der Wirtschaft so gut wie gar nicht unter der Pandemie litt, während der andere Teil erheblich zu kämpfen hatte. In den USA entwickelt sich der Aktienmarkt historisch meist parallel zur Konjunktur, ablesbar zum Beispiel am Gleichlauf zwischen neu geschaffenen Stellen und dem S&P 500. „Seit Ende 2022 zeigt der Arbeitsmarkt jedoch eine abschwächende Dynamik, während es den S&P 500 weiter aufwärts zog – um mehr als 75 Prozent“, so Müller. Seiner Einschätzung nach „eine klassische K-Formation“. Auslöser hierfür war die KI-Euphorie nach dem Start von ChatGPT, verbunden mit gigantischen Investitionen in Rechenzentren. Dabei bleibt offen, ob diese Ausgaben absehbar durch Produktivitätsgewinne gerechtfertigt werden.
Auch innerhalb des KI-Ökosystems ist eine K-förmige Entwicklung zu beobachten. Neue Modelle drängen nach vorn, die Marktführerschaft ist volatil. Das hinterlässt Spuren am Aktienmarkt. So konnten Unternehmen aus dem Google-Universum zuletzt stark zulegen, während Teile des OpenAI-Ökosystems Kursverluste verzeichneten. Buy-and-Hold-Strategien auf einzelne KI-Gewinner erscheinen daher riskant. Entscheidend wird zukünftig sein, welche Unternehmen KI mit messbarem Nutzen einsetzen und wer auf der Strecke bleibt.
Letztlich zeigt unser Chart of the Week, wie sich die Gewinnpfade spreizen. Die K-Logik gilt nicht nur für Konjunktur und Aktienmarkt, sondern auch für die Gewinnentwicklung. Selektion, Diversifikation und die ständige Überprüfung von Annahmen sind unserer Einschätzung nach zukünftig Pflicht. Bleibt der Nachweis aus, dass die Billioneninvestitionen in KI gesamtwirtschaftlich Produktivität schaffen, steigt die Verletzlichkeit eines Marktes, der bereits jetzt auf nur wenigen Schultern ruht.