Zu Beginn der zweiten Jahreshälfte findet ein stiller, aber tiefgreifender Umbruch statt. Der „amerikanische Exzeptionalismus“ an den Börsen schwächt sich ab. Nach einem zehn Jahre langen Anstieg, der sich auf niedrige Zinsen, überlegene Technologien und einen starken Dollar stützen konnte, werden nun Risse sichtbar. Seit Jahresbeginn verzeichnen US-Aktien, darunter insbesondere Titel von Large Caps, eine deutliche Underperformance (in Euro) im Vergleich zu den europäischen Märkten.
Dieser Rückgang könnte das Ende eines Zyklus bedeuten. Bestimmte Indikatoren untermauern diese Annahme. So nähert sich das „Hopes & Dreams“-Verhältnis, das den Anteil der Bewertungen angibt, die nicht auf soliden Fundamentaldaten beruhen, dem Niveau während der Dotcom-Blase. Gleichzeitig ist das politische Umfeld nach der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus viel unberechenbarer geworden. Die um das Siebenfache erhöhten Zölle lassen Ängste vor einem neuen Handelskrieg aufkommen. Vor diesem Hintergrund ist es strategisch wichtig, die Übergewichtung von US-Aktien und -Anleihen zu verringern und sich wieder dem Rest der Welt zuzuwenden.
Suche nach Alternativen zu US-Aktien- und Anleihen
In den USA steht die Kursentwicklung inzwischen zu einem erheblichen Teil unter dem Einfluss der zunehmend bedeutenderen Privatanleger. Sie orientieren sich an Apps und Trends und heizen die Volatilität an. Solche veränderten Bedingungen erfordern Anpassungsfähigkeit und eine Bekräftigung der aktiven, überzeugungs- und fundamentalanalysenbasierten Vermögensverwaltung.
Zurzeit findet eine geografische Neuausrichtung statt. Die europäischen Börsen wurden lange Zeit vernachlässigt, erscheinen nun aber als realistische Alternative. Dies gilt insbesondere für Value-Aktien, Small- und Mid-Caps sowie bestimmte langfristige Themen im Zusammenhang mit gesamteuropäischen Initiativen in den Bereichen Verteidigung, Energiewende und Infrastruktur. Im Anleihenbereich zeigen US-Treasuries Anzeichen einer gewissen Schwächung. Internationale Anleger wie China oder Japan könnten somit ihre Diversifizierung in Gold sowie in Vermögenswerte, die in Euro oder Schweizer Franken lauten, vorantreiben. Europa hat daher die einmalige Gelegenheit, die internationale Bedeutung des Euros zu stärken.
Strategische Allokation in Verteidigung, Cybersicherheit und Technologie
Die Aussichten für Anleihen haben sich grundlegend geändert. Angesichts der Zinsvolatilität ist in den USA Vorsicht geboten. Im Gegensatz dazu bestehen in Europa gute Ertragsaussichten, insbesondere angesichts der Normalisierung der Credit Spreads. Der haushaltspolitische Richtungswechsel in Deutschland ist ein wichtiger Unterstützungsfaktor. Gerade die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist eine langfristige strategische Thematik von erheblicher Tragweite. Das erklärte Ziel von mindestens 5 % des BIP für die NATO-Staaten sendet ein klares Signal. Mehr als 50 börsennotierte europäische Unternehmen sind in den Bereichen Verteidigung, Cybersicherheit und Technologiesouveränität tätig. Angesichts erkennbaren Wachstums, gut gefüllter Auftragsbücher und großer politischer Unterstützung kommt dieser Thematik eine strategische Rolle in den Allokationen zu.
Comeback der BRICS-Staaten?
Es gibt jedoch auch andere Faktoren, die das zweite Halbjahr beeinflussen könnten. Zunächst sind hier die Märkte der Schwellenländer zu nennen, die derzeit in mehrfacher Hinsicht Rückenwind erhalten: durch den Wertverlust des US-Dollars, die sinkenden Energiekosten und den Abfluss von US-Kapital. Es könnte zu einem überraschenden Comeback der BRICS-Staaten kommen. Ein weiterer Faktor ist die Erholung der europäischen Small- und Mid-Caps, die von ihrer Ausrichtung auf den Binnenmarkt, ihren historisch niedrigen Bewertungen und einer auflebenden Gewinndynamik gestützt wird. Hinzu kommt der Gesundheitssektor, der dank Innovationen, der demografischen Entwicklung und einer beständigen Preissetzungsmacht weiterhin strukturell solide ist.
Die Welt befindet sich im Übergang von der Globalisierung zur Fragmentierung, vom allmächtigen US-Dollar zu anderen Fluchtwährungen und vielleicht auch von der passiven zur aktiven Vermögensverwaltung, deren Vorzüge wieder deutlicher werden. Vor diesem Hintergrund sind andere Denkweisen, ein solides Urteilsvermögen und eine allgemeine Offenheit für Widersprüche gefragt.