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Freitag, 19. April 2024
   
 

Unvergessene Weihnachten - die dritte Geschichte

Retter in der Not von Hildegard Brandt



Berlin-Reinickendorf; 1943

Auf Weihnachten freuten wir sechs Geschwister uns immer ganz besonders. Große Gaben hatten wir nicht zu erwarten, aber es gab immer einen Weihnachtsbaum, einen bunten Teller, etwas Praktisches und ein unerwartetes kleines Geschenk.

Meine kleineren Schwestern träumten stets von allerlei schönen Dingen, die, obwohl wir schon im vierten Kriegsjahr waren, noch in den Spielwaren-Geschäften ausgestellt wurden. Diesmal hatten sie niedliche Püppchen gesehen, die ihnen der Weihnachtsmann bringen sollte.

Da das Geld immer sehr knapp war, kaufte meine Mutter oft schon im Herbst einige Kleinigkeiten für den Weihnachtstisch. Sie fing auch früh an, Nüsse, Marzipan und andere Süßigkeiten für den bunten Teller zu sammeln.

Eines Tages stellte Schwester Edith fest, daß die mittlere Schublade der großen Kommode verschlossen war. Nun ging die Raterei los, jede wüßte zu gerne, was da wohl schon versteckt sei. Ich war damals elf Jahre alt und nicht weniger neugierig als die Kleinen. Als meine Eltern einmal nicht zu Hause waren, überlegten wir, ob man nicht die obere nicht verschlossene Lade herausziehen könnte, um einen Blick in die untere zu werfen. Es war schwierig, das klobige Ding überhaupt zu bewegen. Schließlich gelang es uns, den Kasten auf den Fußboden zu bugsieren. Und nun konnte man sogar in die andere hineinfassen!

Große Freude bei uns allen, denn darin lagen vier Püppchen, wie sie sich meine Schwestern wünschten. Jede hatte ein andersfarbiges Kleid an. Trudchen, Erika, Elfriede und Mohrchen entschieden sich gleich für eine bestimmte Farbe. Sie wurden gedrückt und geknutscht und keine wollte das Püppchen wieder hergeben. Aber das ging ja nicht, die Zeit verstrich, und wir mußten ja die alte Ordnung wiederherstellen. Das war jedoch leichter gedacht als getan. Der schreckliche Kasten war so schwer, daß er sich kaum bewegen ließ. Und nun klingelte es auch noch!

Vor der Tür stand unser Nachbar, der bei uns in der Residenzstraße das wichtige Amt eines Blockwartes bekleidete. So richtig leise war es bei uns sehr selten, aber diesmal mußten wir wohl übertrieben haben, daß es den Ordnungshüter auf den Plan brachte. Er kannte alles und jeden im Haus, außergewöhnliche Dinge blieben ihm nicht verborgen. Mit den Worten: "Ist was passiert?", schritt er schnurstracks ins Zimmer - und übersah die schwierige Situation sofort.
Ohne auf unsere Erklärungsversuche einzugehen, wuchtete er die Schublade in die Höhe und schob sie wieder in die Kommode! Wir hätten ihm jetzt vor lauter Dankbarkeit alles versprochen, mußten ihn aber doch inständig bitten, unseren Eltern nichts zu verraten. Wir haben nie erfahren, ob er dichtgehalten hat - rausgekommen ist letzten Endes doch alles.

Endlich war Weihnachten. Das Wohnzimmer, meistens etwas kühl, war am Heiligen Abend gut geheizt, der Baum wunderschön geschmückt. Kugeln und Lametta wurden von Jahr zu Jahr aufgehoben, und aus Resten hatten wir sogar Kerzen gegossen. Nach der Bescherung saß jedes Kind auf dem ihm zugewiesenen Platz am Tisch, als sich plötzlich ein fürchterliches Geschrei erhob. Die Kleinen zankten und schrien: "Ich will rosa!", "Ich will grün!" und gerieten sich fast in die Haare.

Unsere Eltern guckten erst etwas verstört, behielten zum Glück aber die Nerven und schlugen dann vor, sie sollten doch die Puppen tauschen. Nun kehrte Frieden ein, Weihnachtslieder wurden gesungen, Gedichte aufgesagt und schon von den Köstlichkeiten des bunten Tellers genascht.

Als ich meine Mutter viel später einmal fragte, wieso sie bei dem Durcheinander Weihnachten nicht ausgerastet sei, meinte sie, längst hätte sie gemerkt, daß etwas im Busche war. Die Kinder bemühten sich ein paar Tage unerwartet freundlich miteinander umzugehen und auch artig zu sein. Der Clou war dann, daß sie beim Einteilen der Süßigkeiten für die Bunten Teller gemerkt hatte, daß eine einem Marzipan-Schweinchen den Kopf abgebissen hatte.



Die Geschichte "Retter in der Not" ist in Band 1 der Buchreihe "Unvergessene Weihnachten" aus dem Zeitgutverlag Berlin (Preis:  8,90 Euro, ISBN 978-3-933336-73-6) erschienen.

Foto: Pixabay

 

Veröffentlicht am: 03.12.2022

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