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Freitag, 29. März 2024
   
 

Poker ist Glücksspiel, und das ist schlicht nicht unser Geschäft

Ex-Banker Jürgen Fitschen im Gespräch


Die Agilität der Banken wird immer wieder heiß diskutiert. Dabei steht Vertrauensaufbau ständig auf der Tagesordnung. Aber auch Aufklärung ist ein großes Probelm. Der normale Bürger versteht oft nicht, wie Banken agieren. Jürgen Fitschen dazu: "Wir vergessen manchmal zu sagen, warum wir das alles machen. Was ist überhaupt die Aufgabe von Banken? Wie funktionieren die Kapitalmärkte? Da sehe ich auch Lücken in den Unterrichtsplänen der Schulen. Und ein Versäumnis der Banken selbst."

Jürgen Fitschen, ehemaliger Vorstand Deutsche Bank AG, im Gespräch mit den Buchautoren Kai Anderson und Jane Uhlig für "Das agile Unternehmen - Wie Organisationen sich neu erfinden" (Campus Verlag).

Jane Uhlig:
Ihr Lebenslauf ist old school – das meine ich positiv. Sie sind in einem Dorf aufgewachsen, haben eine klassische Ausbildung absolviert, sind dann für einige Jahre zur Citibank gegangen, anschließend waren Sie viele Jahre bei der Deutschen Bank tätig. Diese Kontinuität erlebt man ja heutzutage bei Managern eher selten. Was waren die entscheidenden Veränderungen für Sie?
Jürgen Fitschen:
Das war sicherlich in frühen Jahren der Wechsel von der kleinen Dorfschule aufs Gymnasium. Ebenso später der Wechsel in die große Stadt Hamburg zur Lehre und anschließend zur Universität. Dies alles hat sich natürlich sehr stark ausgewirkt auf die Art und Weise, wie ich Dinge empfunden und gedacht habe. Das heißt, mit vielen Veränderungen ist immer wieder ein neuer Anstoß gekommen, der meine Sicht auf die Dinge neu beeinflusst und neue Horizonte eröffnet hat. Womöglich liegt hier die Wurzel für meine spätere Entscheidung, beruflich nach Asien zu gehen. Ich war in Thailand, als dieses Land die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft weltweit war; durchschnittlich 14 Prozent im Jahr. Zu erleben, wenn plötzlich wirtschaftlich alles möglich ist, ist eine besondere Erfahrung. Und drei Jahre später in Japan erlebte ich das Gegenteil. Die Blase platzte. Und die Gesellschaft war, weil wir vom Wandel sprechen, nicht in der Lage, damit angemessen umzugehen. Und das bis heute. 20 Jahre später stellen wir immer noch fest, dass ein Wandel dort nicht vollständig stattgefunden hat, wie es in anderen Gesellschaften zur gleichen Zeit möglich war. Insofern profitiere ich von diesen sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe. Veränderungen haben mein Weltbild nachhaltig geprägt. Dafür bin ich sehr dankbar. Man wird sehr viel toleranter, hat mehr Verständnis für die Sichtweisen Anderer. Und ich denke, das ist mir auch später in der Führungsaufgabe in Deutschland zugutegekommen.

Jane Uhlig:
War der Wandel etwas Bedrohliches für Sie?
Jürgen Fitschen:
Im Gegenteil. Steter Wandel ist ein vertrauter Teil meines Lebens. Wenn ich auf meine Berufsjahre zurückblicke, dann relativiert sich im Nachhinein so mancher Erfolg oder Nicht-Erfolg. Für mich gibt es heute auch keine „schwarz-weiß“ Sichtweisen mehr. Meine Erfahrung mit Veränderungen hat mich gelehrt, dass die Medaille immer zwei Seiten hat - mindestens. Wandel ist für mich also etwas ganz Natürliches. Er war nie bedrohlich für mich.

Jane Uhlig:
Kann Karriere im Zuge ständiger Veränderungsprozesse überhaupt geplant werden?
Jürgen Fitschen:
Ich wurde oft von jüngeren Mitarbeitern gefragt, ob man denn angesichts aller Veränderungen und Unsicherheiten überhaupt noch seinen Berufsweg planen soll? Mein Rat: Wir können nicht alles im Voraus planen. Man sollte sich manchmal auch der Situation stellen und dann aus der Situation heraus entscheiden und das Beste daraus machen. Ich glaube nicht, dass es generell möglich ist, auf viele Jahre im Voraus genau festzulegen, wie die Dinge sich entwickeln werden.

Jane Uhlig:

Meinen Sie, die Unsicherheit in unserer Gesellschaft wächst?
Jürgen Fitschen:
Das befürchte ich. Gerade in den letzten Wochen und Monaten konnten wir eindrucksvoll beobachten, wie sich die Dinge in unserer Welt verändern – nicht immer zum Guten. Wer hätte vor ein paar Monaten noch gedacht, dass man deutschen Politikern in Griechenland so feindselig begegnet? Alle Stereotypen sind hier wieder hochgekommen. Und auch nicht wenige Deutsche scheinen zu glauben, die Griechen seien faul und würden auf Kosten anderer leben. Umgekehrt legt man den Griechen in den Mund, wir, die Deutschen, würden sie gängeln und wirtschaftlich ausnutzen. Das ist schon erstaunlich. Bis vor kurzem war das Verhältnis zwischen beiden Ländern intakt, geprägt von Freundschaft und engen wirtschaftlichen Beziehungen. Oder schauen Sie sich die Situation in der Ukraine und das Verhalten in Russland an. Das ist wenig ermutigend. Und zeigt ebenfalls, wie stark die Welt Veränderungen und Unsicherheiten ausgesetzt ist. Das wird künftig eher zunehmen als abnehmen. Darauf müssen wir uns einstellen.

Jane Uhlig:
Und wenn Sie die Perspektive aus der Bank heraus betrachten?
Jürgen Fitschen:
Hier beschäftigen mich vor allem zwei Dinge: einmal die fortschreitende Digitalisierung unserer Welt, weil sie das gesellschaftliche Miteinander dramatisch verändern wird. Wir Bürger sind hier im Übrigen sehr inkonsequent. Alle scheinen gerne ihre privaten Daten preis zu geben und loben gleichzeitig die Errungenschaften des freien Internets. Dies birgt durchaus Gefahren. Die Menschen merken oftmals gar nicht mehr, dass sie auch einen Preis zahlen, und zwar nicht im monetären Sinne. Sie zahlen sozusagen mit ihrer eigenen Information, die andere dann wirtschaftlich ausnutzen können. Das führt mich zum zweiten Punkt – der Ökonomisierung des Privaten. Auch das verändert die Art und Weise unseres Zusammenlebens fundamental.

Jane Uhlig:
Können Sie Beispiele für die Ökonomisierung des Privaten nennen?
Jürgen Fitschen:
Es betrifft verschiedene Lebensbereiche, wie beispielsweise Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen, Altersvorsorge, kulturelle Aktivitäten oder die Inanspruchnahme von Infrastruktureinrichtungen. Dabei scheint es mir in Zeiten zunehmender Digitalisierung für eine wachsende Zahl von Menschen problematischer zu werden, zwischen den Begriffen „ohne Nutzen“ und „nutzlos“ zu unterscheiden.

Kai Anderson:
Zurück zu Ihnen: Wie empfanden Sie Ihre Rückkehr nach Deutschland? Das war sicher nicht so einfach.
Jürgen Fitschen:
Zurück nach Deutschland zu kommen war viel schwieriger als vorher innerhalb Asiens zu wechseln. Denn jetzt war ich in der Zentrale. Und diese Umgebung war vor allem eines: sehr deutsch geprägt. Andererseits hatte es auch seine Gründe, warum man mich gebeten hatte, wieder nach Deutschland zu kommen. Es war ja nicht so, dass Asien für die Bank nicht mehr interessant gewesen wäre. Man hat aber gesehen, wie ich in Asien mit Kollegen und Kunden umgegangen bin und wollte, dass ich das von Frankfurt aus mit weltweiter Perspektive mache. Aber bequem und einfach war dieser Schritt für mich sicher nicht. Ich wurde aus meiner gewohnten Umgebung herausgerissen. Man kann sagen, ich ging, bevor ich alles ernten konnte, was ich vorher gesät hatte. Dieses Gefühl, etwas unvollendet zurückgelassen zu haben, war damals stark bei mir vorhanden.

Jane Uhlig:
In welcher Kultur haben Sie sich wohler gefühlt, in der asiatischen oder in der deutschen?
Jürgen Fitschen:
Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Ich habe vor allem den persönlichen Umgang in Asien geschätzt, der dort eine besonders große Rolle spielt. Der Umgang mit Asiaten ist durchaus kompliziert. Wer aber dem Vorurteil glaubt, Asiaten seien oberflächlich und lächelten stets, hat diese Kultur nicht verstanden. Man kommuniziert dort eben auf andere Art und Weise, wie das bei uns üblich ist. Aber eines haben beide Kulturen gemeinsam: Man kann zu jedem Menschen einen persönlichen Zugang finden, wenn man ihm mit dem nötigen Respekt begegnet.

Jane Uhlig:
Sie haben in Ihrem Berufsleben ein großes Netzwerk aufgebaut. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen Ländern insbesondere in Europa, Asien und dem Mittleren Osten. Es muss ein Erfolgsgeheimnis geben, warum Sie mit den Menschen in den unterschiedlichsten Regionen besonders gut auskommen. Was ist das Geheimnis?
Jürgen Fitschen:
Ich versuche meinen Gesprächspartnern das Gefühl zu vermitteln, dass sie offen mit mir sprechen können – ohne Gefahr zu laufen, das Gesicht zu verlieren. Das ist das Schlimmste, was man seinem Gesprächspartner in Asien antun kann: ihn bloß zu stellen. Hier in Deutschland spielt dieser Punkt nicht so eine große Rolle. Auch nicht in den USA, wo sie vielleicht zunächst direkt kritisiert werden, wenn sie zu weit gegangen sind. Danach ist es aber auch schnell wieder vergessen. Das geht in Asien nicht, das dürfen sie dort nicht tun. Sie müssen immer und jederzeit die Form wahren. Die Direktheit, die wir hier in den westlichen Ländern pflegen, gibt es in Asien nicht. Deshalb ist es für einige westliche Manager auch schwierig, mit Asiaten ins Gespräch zu kommen und von ihnen akzeptiert zu werden. Aber diese Akzeptanz müssen Sie sich erarbeiten. Hier entstehen echte Partnerschaften in vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit. So etwas finden Sie heute in den westlichen Ländern nicht mehr oft.

Jane Uhlig:
Sie haben viel erlebt mit Managern aus der Wirtschaft, auch in emotionalen Situationen. Konnten Sie immer vertrauen?
Jürgen Fitschen:
Nein, nicht immer. Ich habe auch meine Erfahrungen gemacht. Aber nicht so, dass ich danach ohne Hoffnung geworden wäre. Man braucht eine gewisse Gelassenheit. Man muss erkennen, dass es im Leben nicht immer gerecht zugeht und dass man daran aber nicht verzweifeln sollte.

Kai Anderson:
Wobei Ihre Karriere wahrscheinlich auch wenig Anlass zu Zweifeln gegeben hat, oder? Also ich denke jetzt an die Zeit, als die Welt wirklich noch in Ordnung war. Die Deutsche Bank war der Inbegriff der Stabilität. Sie waren im Vorstand angekommen. Denkt man da ans Scheitern, wenn man so einen erfolgreichen Weg gegangen ist? Bekommt man da überhaupt Zweifel?
Jürgen Fitschen:
Na ja, die heile Welt, die Sie hier ansprechen, von der reden wir zwar häufig, aber dann doch meistens in der Rückschau. Ich habe meine Zweifel, ob die Welt jemals so „in Ordnung“ war. Zum anderen verstehe ich Zweifel als Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen. Verliert man diese Fähigkeit, wird es gefährlich.

Jane Uhlig:
Und die Nachricht vom Ausscheiden Anshu Jains, ihres Co-Vorstandsvorsitzenden, war sicher auch nicht einfach.
Jürgen Fitschen:
Auch diese Veränderung muss ein Manager verkraften. Und sie müssen immer damit rechnen, dass so etwas passieren kann. Wer sich hinstellt und meint, er sei jetzt ganz oben angekommen und ihm könne nichts mehr passieren, der scheint mir ziemlich naiv.

Jane Uhlig:
Sie als Co-Vorstandsvorsitzender werden in der Öffentlichkeit von vielen mit einem gewissen Neidfaktor wahrgenommen: gehobener Status, hohes Gehalt, Chauffeur, Dienstwagen, exklusives Büro. Vielen ist nicht klar, welcher Einsatz damit verbunden ist - im Sinne von überdurchschnittlicher Verantwortung, viel Arbeit und pausenloser Termine; kaum Privatleben. Meinen Sie, die Menschen sollten mehr darüber erfahren, was ein Manager in Ihrer Position alles leistet?
Jürgen Fitschen:
Ich glaube, viele sehen schon, dass wir eine hohe Verantwortung tragen und dass wir einen sehr ausgefüllten Kalender haben. Vieles wird festgemacht an der Person des Vorstandsvorsitzenden. Das habe ich zu Zeiten von meinem Vorgänger erfahren, und nachdem Anshu Jain und ich übernommen hatten, ist es uns genauso ergangen. Man darf nicht den Versuch machen, sich dem zu entziehen. Insofern ist diese Art der Öffentlichkeitsarbeit, die wir in dieser Position verrichten, ein Teil unseres Aufgabengebietes, ein Teil, der in dieser medialen Welt immer wichtiger geworden ist.

Kai Anderson:
Es gibt den Spruch von Clement Stone: "To every disadvantage there is a corresponding advantage." Können Sie dem Ganzen etwas Positives abgewinnen?
Jürgen Fitschen:
Es gab in meinem Berufsleben keinen einzigen Tag, den ich als verlorenen Tag empfunden habe. Die unzähligen Begegnungen mit Freunden, Kollegen und Kunden auf der ganzen Welt möchte ich auf gar keinen Fall missen. Das kann sicher nicht jeder von seinem Beruf behaupten. Und ich bin mir zutiefst bewusst, welches Glück mir damit zuteilgeworden ist. Die positiven Aspekte überwiegen eindeutig.

Jane Uhlig:
Finden Sie den Slogan Ihrer Bank „Leistung aus Leidenschaft.“ noch angemessen im Zuge der Krise und des Kulturwandels? Oder müsste der Slogan heißen: Leistung aus Verantwortung?
Jürgen Fitschen:
Ich habe sehr früh gesagt, dass ich den Slogan nicht mehr optimal finde. Damit will ich nicht sagen, dass Leistung aus Leidenschaft für uns nicht mehr gilt. Sie gehört zur Deutschen Bank. Denn wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir stets die höchsten Erwartungen an uns alle haben. Das muss auch so bleiben. Ich habe den Slogan deshalb kritisch beurteilt, weil Leidenschaft auch zu Exzessen führen kann, wenn sie keine Grenzen mehr kennt, wenn Menschen Maß und Mitte verlieren. Und deshalb sagte ich, dass Verantwortung, Integrität und Disziplin ebenfalls dazugehören. Das heißt, Leidenschaft allein reicht nicht aus, sie muss auch verantwortungsvoll umgesetzt werden.

Jane Uhlig:
War die Leidenschaft am Pokertisch das Dilemma?
Jürgen Fitschen:
Poker ist Glücksspiel, und das ist schlicht nicht unser Geschäft. Leidenschaft im falsch verstandenen Sinne ist, wie gesagt, generell nicht gut. Man muss im Übrigen bei der Aufarbeitung von Fehlverhalten immer auch die Zeit berücksichtigen, in der es aufgetreten ist. Es gilt gut zu unterscheiden zwischen den Dingen, die sowohl damals wie auch heute nicht korrekt waren bzw. sind. Und es gibt andere Fälle, die aus heutiger Sicht nicht richtig sind, aber seinerzeit rechtlich in Ordnung waren. Nicht alles, was damals getan wurde, muss heute sanktioniert werden. Aber wir stellen fest, dass sich die Einstellung zu bestimmtem Geschäften und Handlungsweisen geändert hat – und oftmals zu recht. Und deshalb wollen wir uns auch in Zukunft genauso leidenschaftlich um unsere Kunden kümmern wie bisher.

Jane Uhlig:
Welche Rolle spielt Risiko dabei?
Jürgen Fitschen:
Ernstzunehmende Stimmen sagen, dass wir bald eine Gesellschaft sind, in der keiner mehr bereit ist, Risiken zu übernehmen. Eine Gesellschaft, in der jeder glaubt, er muss gegen alle Eventualitäten geschützt werden. Das kann nicht funktionieren, denn unser Geschäft hat per se nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Ein Autoverkäufer bekommt Probleme, wenn das von ihm verkaufte Auto permanent in die Werkstatt muss. Wenn der Käufer allerdings seinen Wagen beschädigt, wird in der Regel nicht der Automobilhersteller dafür verantwortlich gemacht. Wenn dagegen ein Bankkunde eine Investition tätigt, die sich nicht gut entwickelt, dann ist es relativ einfach für ihn, in die Öffentlichkeit zu gehen und seine Bank der schlechten Beratung zu beschuldigen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird man für ihn Verständnis haben. Letztendlich geht es um die Frage, wie viel Mündigkeit wollen Sie dem Einzelnen in wirtschaftlichen Dingen überlassen und wie viel Verantwortung sollen wir als Bank dabei tragen? Wo ist hier die Grenze? Denn Chancen und Risiken eines Bankgeschäfts sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das bleibt für die Banken - und für die Gesellschaft - ein spannendes Thema, das auch Teil des Kulturwandels der Deutschen Bank ist.

Kai Anderson:
Trägt die Belegschaft diesen Wandel mit? Von außen betrachtet ist das eine große Veränderung. Wie kommen Sie hier voran?
Jürgen Fitschen:
Nie schnell genug. Wenn sie allerdings eine solche Verhaltensänderung innerhalb weniger Wochen oder Monate erreichen wollen, dann brauchen sie gar nicht erst anzufangen. Das dauert Jahre. Wir versuchen den Fortschritt auch zu messen. Die Ergebnisse unserer internen Befragungen zeigen regelmäßig, dass unsere Mitarbeiter von der Richtigkeit eines kulturellen Wandels überzeugt sind. Jetzt gilt es, diesen Wandel in der täglichen Arbeit auf breiter Basis umzusetzen. Erst wenn die Kollegen gemeinsame Werte und Überzeugungen nicht nur teilen, sondern sich tagtäglich danach verhalten, dann wird der Wandel glaubwürdig. Mit knapp 100.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unterschiedlichen Kulturkreisen ist das schon eine besondere Aufgabe. Und die muss sehr langfristig angelegt sein.

Jane Uhlig:
Die Motivation des Handelns ist ja ein großes Thema, dass natürlich auch die Mitarbeiter, die hier agieren oder anfangen, auch die entsprechende Haltung und das entsprechende Handeln mit in die Bank bringen…
Jürgen Fitschen:
Es gab eine Zeit als der Beruf des Investmentbankers sehr angesehen war. Nicht immer aus den Motiven, die wir besonders gern sehen, aber es war so. Das ist heute nicht mehr so. Manche Kollegen sagen im Freundes- und Bekanntenkreis nicht mehr, was sie beruflich machen, weil sie sonst schief in der Gesellschaft angesehen werden. Davon müssen wir wieder wegkommen, denn beide Entwicklungen sind Übertreibungen. Deshalb ist der Kulturwandel in unserer Branche so wichtig.

Kai Anderson:
Das schlechte Image gilt insgesamt fürs Banking und nicht nur für das Investmentbanking. Als ich in den 80ern das Abitur gemacht habe, da war die Banklehre der beliebte Einstieg ins Berufsleben, wenn man in Richtung Betriebswirtschaft marschieren wollte.
Jürgen Fitschen:
Das Verhältnis zu den Banken und ihren Mitarbeitern war immer schon ein bisschen anders als zu anderen Unternehmen. Dennoch hat sich hier über die Jahre etwas grundlegend geändert. In Hamburg gab es zwei Ausbildungsberufe, die besonders hoch angesehen waren. Das waren der Außenhandelskaufmann und der Bankkaufmann. Die anderen Kaufmanns-Berufe waren nicht ganz so hoch angesehen, warum auch immer. Man musste sich damals auf keinen Fall dafür verteidigen, dass man Bankkaufmann oder -frau wurde. Das ist erst später gekommen, da bin ich völlig bei Ihnen. Ich beneide manchmal die Kollegen aus der Automobilindustrie, die auf Messen ihre schönen neuen Autos vorführen können. Die kriegen meistens immer donnernden Applaus. Ich bin aber überzeugt, dass sich das Ansehen der Banken wieder dort einpendeln wird, wo es sein sollte. Wir und alle meine Kollegen arbeiten hart daran.


Kai Anderson:
Diese Abneigung zeugt von wenig Verständnis für makroökonomische Zusammenhänge, oder?
Jürgen Fitschen:
Das ist der Punkt, der mir am meisten Sorgen macht. Das Vertrauen, von dem wir gesprochen haben, kann nur dann entstehen, wenn auch Verständnis für die Rolle der Banken da ist. Das schließt auch ein, dass gesagt wird, was Banken nicht machen können. Das fängt schon bei der EZB, der Europäischen Zentralbank, an. Mario Draghi wird momentan auch heftig kritisiert. Warum? Weil alle Leute sagen, er schüttet so viel Geld aus und löst das Problem nicht. Wenn diese Leute zuhören würden, dann würden sie schnell zu einer anderen Einstellung kommen. Herr Draghi ist der Erste, der immer wieder gesagt hat, ich löse das Problem mit Sicherheit nicht, das kann ich gar nicht. Ich gebe nur Zeit für die, die das Problem lösen sollen. Aber dieser Unterschied wird nicht gesehen. Alle zeigen auf die EZB. Soll sie die Unterstützung der Banken etwa einstellen? Wer ist dann für das daraus folgende Durcheinander verantwortlich?

Jane Uhlig:
Der normale Bürger versteht die Gründe nicht, weil zu wenig aufgeklärt wird…
Jürgen Fitschen:
Wir vergessen manchmal zu sagen, warum wir das alles machen. Was ist überhaupt die Aufgabe von Banken? Wie funktionieren die Kapitalmärkte? Da sehe ich auch Lücken in den Unterrichtsplänen der Schulen. Und ein Versäumnis der Banken selbst. Wir haben es versäumt zu sagen, was eigentlich der Kern und der Sinn einer Verbriefung ist. Dass Derivate in einer modernen Volkswirtschaft ein Instrument sind, um Risiken zu beherrschen – und nicht in erster Linie eine tolle Ertragsquelle für Banken. Jeder Landwirt kennt und schätzt Derivate, da er mit ihnen das Risiko seiner Ernte absichern kann. Erst die Übertreibungen und Exzesse machen solche an sich sehr sinnvollen Finanzprodukte zum Problem.

Kai Anderson:
Wie groß ist die Gefahr, dass Innovationen nicht aus dem Banksektor kommen? Sie nannten vorhin die Digitalisierung mit ihren neuen Geschäftsmodellen für Start-ups und andere Organisationen.
Jürgen Fitschen:
Die technologische Entwicklung ist in vollem Gange, und sie wird großen Einfluss auf die Banken haben. Wir verfolgen das sehr intensiv und sind im Dialog mit den sogenannten Fintechs. Ich sehe diese Entwicklung nicht als eine Gefahr für uns. Das wäre absurd. Die Frage lautet: Was bedeutet die Digitalisierung für unsere Kunden, für unsere Prozesse und welche neuen Dienstleistungsmöglichkeiten entstehen daraus? Ich kenne keine Bank, die sich diese Fragen nicht stellt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es uns mit dem digitalen Fortschritt gelingen wird, eine stärkere, schlankere und effizientere Bank zu werden. Wir haben inzwischen eigene Innovation Labs in Berlin, London und Kalifornien, wo wir uns darüber Gedanken machen, wie wir die Kunden besser unterstützen und die Prozessketten verfeinern können. Aber ein Bankkunde hat auch in Zukunft nicht nur das – sicher wachsende - Bedürfnis, seine Bankgeschäfte digital zu erledigen. Wir benötigen deshalb mehrere Kanäle, neben der kompletten Online-Welt auch weiterhin die physische Präsenz mit den Filialen.

Jane Uhlig:
Mich interessiert noch: Sprechen Sie eigentlich Thai?
Jürgen Fitschen:
Ich habe ein bisschen Thai gelernt, aber nicht gut genug, was ich heute bedauere. Mit meiner verstorbenen thailändischen Frau habe ich zunächst deutsch gesprochen, da sie diese Sprache fließend beherrschte. Und dann habe ich angefangen Thai zu lernen; aber nach einem Jahr bin ich dann aus beruflichen Gründen nach Japan gegangen. Und in Japan hat sich der Fehler wiederholt. Das bedaure ich bis heute. Meine beiden Kinder sprechen fließend Thai. Wenn sie sich lustig über mich machen, dann kriege ich das nicht richtig mit. Leider.

Kai Anderson:
Mit welchen Argumenten würden Sie heute jungen Menschen zum Bankberuf raten?
Jürgen Fitschen:
Eltern fragen mich manchmal, ob ich ihrem Sohn oder ihrer Tochter empfehlen könne, heute noch eine Banklehre zu machen oder in einer Bank zu arbeiten? Ich sage: Ja, das ist ein hochspannender Beruf. Ich tue das nicht ganz uneigennützig, muss ich bekennen. Denn als Deutsche Bank brauchen wir auch künftig die besten Talente, um weiterhin auf Weltniveau vorne mit dabei sein zu können. Natürlich weiß ich, dass die Ausbildung und die Arbeit bei uns unglaublich abwechslungsreich und im positiven Sinne herausfordernd ist. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Menschen hier in Deutschland eigentlich möchten, dass wir sehr erfolgreich arbeiten und dass wir so arbeiten, dass sie mit Stolz sagen können: Das ist unsere Deutsche Bank.

Jane Uhlig:
Ihr wichtigster Rat für Veränderungsfähigkeit.
Jürgen Fitschen:
Ich habe mal gesagt, wer Zukunft gestalten will, muss wissen, wo er herkommt. Und die Kunst besteht darin, die Frage zu beantworten, was im Rahmen des Wandels beständig ist. Ich bin kein Anhänger davon, dass alles, was gestern funktioniert hat, auf einmal weg muss. Anders ausgedrückt: Man muss die Dinge verändern, die man verbessern will. Denn über eines muss man sich im Klaren sein: Zum Wirtschaften gehört immer die Anerkennung der Unkenntnis dessen, was in der Zukunft passieren wird. Und deswegen muss in jedem Wandlungsprozess die Option des Hinterfragens integriert sein, damit man zum geeigneten Zeitpunkt dann auch Korrekturen vornehmen kann. Wer das nicht tut, kann sein Unternehmen nicht guten Gewissens in eine sichere Zukunft führen.

Jane Uhlig:
Vielen Dank.

Foto: Laslo Dani I Jane Jane Uhlig PR



Das agile Unternehmen


Wandlungsfähigkeit muss oberstes Ziel jedes Unternehmens sein. Doch wie hält man einen Konzern flexibel? Und warum sollte sich ein Weltmarktführer verändern? Kai Anderson und Jane Uhlig widmen sich diesen Fragen aus der Perspektive von 30 Topmanagern. Sie zeigen, wie etwa Mathias Döpfner und Johannes Teyssen durch zielgerichtetes HR-Management die Weichen von Axel Springer und E.ON auf Zukunft stellen. Daraus entwickeln die Autoren das Modell eines zukunftsfähigen Unternehmens, das Veränderungsfähigkeit auf allen Ebenen lebt, mit konstanter Unsicherheit umgeht und die Zukunft erobert.

Das agile Unternehmen
Autoren: Kai Anderson, Jane Uhlig
Verlag: Campus
Preis: 49,00 Euro

 

Veröffentlicht am: 28.04.2016

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