Die Finanzmärkte haben aktuell ein relativ optimistisches Konjunkturbild für die USA. Das lässt sich aus verschiedenen Indikatoren ableiten: So ist zum Beispiel die Steilheit der Renditekurve ein beliebter Indikator für die nominalen Wachstumserwartungen.
Aktuell ist die Differenz zwischen zweijährigen und zehnjährigen US-Staatsanleiherenditen so hoch wie zuletzt 2015. Ein ähnliches Bild zeichnen die Inflationserwartungen genauso wie die Gewinnerwartungen für börsennotierte Unternehmen. Auch die Rohstoffpreise reflektieren die Antizipation einer kräftigen Konjunkturerholung. Für die USA passen Volkswirte derzeit ihre Wachstumserwartungen für das Jahr 2021 kontinuierlich nach oben an, wie aus unserem „Chart der Woche“ ersichtlich ist. Für Europa sieht das Bild weniger rosig aus. Nach einer Phase fast schon euphorischer Erwartungen für die wirtschaftliche Entwicklung im laufenden Jahr, werden die Prognosen seit Herbst wieder nach unten geschraubt.
Für diese Divergenz gibt es mehrere Ursachen, zuallererst wohl der Pandemieverlauf. Bei den Impfungen gegen Covid-19 haben die USA die meisten europäischen Länder weit abgehängt. Ein anderer Grund ist die Fiskalpolitik: Seit die Demokraten in Washington die Politik bestimmen, wird fiskalpolitisch kräftig auf das Gaspedal gedrückt. Kaum ist die Tinte der Unterschrift des Präsidenten unter das 1,9-Billionen-Dollar schwere Konjunkturpaket trocken, wird schon über ein weiteres, diesmal 3-Billionen-Dollar schweres Infrastrukturinvestitionsprogramm diskutiert. In Europa hingegen läuft die Umsetzung des EU-Wiederaufbaufonds äußerst schleppend an. Die jüngste Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts könnte für weitere Verzögerungen sorgen.
Insofern ist also absehbar, dass Europa auch in diesem Zyklus wieder nur die Rücklichter von Volkswirtschaften wie den USA oder einigen Schwellenländern, besonders aus Asien, sehen wird. Das heißt jedoch nicht notwendigerweise, dass die europäischen Börsen darunter übermäßig stark leiden sollten. Für die großen europäischen Unternehmen ist aufgrund ihrer hohen Exportquote die Weltkonjunktur schließlich wichtiger als die Konjunktur in ihren Heimatländern.